Im ersten Teil von meinem kleinen Reisebericht aus dem Iran ging es vor allem um einige einleitende Gedanken, unsere Reisevorbereitung, die Ankunft in Teheran, den Umgang mit dem Kopftuch und das ketogene Essen.
In diesem zweiten Teil hier möchte ich meine Eindrücke vom Tajrish Bazar in Teheran schildern, meine Erlebnisse mit Taarof sowie dem Reisen im Iran und den beeindruckenden Landschaften.
Tajrish Bazar Teheran – So liebe ich Einkaufen
Meine Vorstellungen von einem Basar im Iran waren so ganz anders als das, was wir dann tatsächlich erlebt haben. Ich habe den Begriff „Basar“ immer mit einer enormen Lautstärke, großen Menschenmassen, ständigem (Ver-)Handeln, fehlenden Preisschildern und vor allem einer gewissen Unordnung verbunden. Ich kann nicht sagen warum, doch für mich hatte in der Vorstellung ein Basar immer etwas von Chaos.
Stattdessen erwartete uns im Tajrish Bazar von Teheran ein wahres Einkaufserlebnis. Wir haben uns in diesen Bazar verliebt. Schön geschmückt und reich verziert, mit einer wunderbaren Auswahl an kleinen, aber feinen Geschäften.
In Deutschland ist es nicht üblich, auf diese Art und Weise Lebensmittel einzukaufen. Wenn ich jetzt die Bilder sehe, kann ich förmlich wieder alles riechen. Stell Dir vor, Du bist in so einem Basar, und um Dich herum stehen Kisten oder geöffnete Tüten mit getrockneten Rosenblättern, Unmengen an getrockneten Früchten, frischen Gewürzen oder frischem Gemüse. Der Duft steigt sofort in die Nase und ist unglaublich intensiv.
Entgegen meiner Vorstellung ist alles sehr sauber und ordentlich, die Verkäufer „überfallen“ die Kunden nicht. Wenn man nichts kaufen will, darf man auch ganz in Ruhe weitergehen. Da waren die Händler in anderen, europäischen Ländern sehr viel aufdringlicher.
In Deutschland sind Gewürze sehr teuer, daher werden sie nur in kleinen Mengen verkauft. Wir waren überrascht von der Fülle und Vielfalt verschiedener Gewürze, viele davon kannten wir gar nicht. Im Iran kann man alles kosten und probieren, bevor man es kauft. Auch das kennen wir aus Deutschland nicht.
In so ziemlich allen Geschäften im Basar spürt man die Hingabe der Iraner für alles, was mit Essen zu tun hat. Gemüse wird nicht einfach irgendwie präsentiert, sondern in schöne Pyramiden aufeinandergestapelt und ansprechend, ja liebevoll verkauft. In Deutschland kauft man einfach etwas zu essen, im Iran kauft man Genuss.
Frisch zubereitete Pistazienbutter von niri organic im Tajrish Bazar … Es ist sooooo kheyli lecker! Auch das zu sehen war für uns etwas ganz neues. So würde ich mir das in Deutschland wünschen … in ein Geschäft gehen, und das Nussmus ganz frisch zubereiten lassen. Man kann das zwar zu Hause mit einem guten Hochleistungsmixer auch selbst machen … aber mal ehrlich: da zuzuschauen, das hat doch was, oder?
Es hat Spaß gemacht, und das Einkaufen in einem Basar war etwas ganz Besonderes für uns. Wir vermissen diese Atmosphäre sehr, jedes Mal, wenn wir hier in Deutschland einkaufen gehen. Im Supermarkt, zusammen mit gestressten und schlecht gelaunten Menschen. Hach ja.
Verkaufen auf iranisch
Gleich in der Nähe des Tajrish Bazar haben wir diesen Verkäufer entdeckt. Er hat dort ganz frisch Mais gebruzzelt und verkauft, und das dann entsprechend lautstark angepriesen. Natürlich haben wir gefragt, ob wir das filmen dürfen. Der Verkäufer hat es uns erlaubt und war stolz und glücklich als er erfuhr, dass wir aus Deutschland sind.
Es hat sehr viel Spaß gemacht, hier zuzuschauen!
Taarof – die besondere iranische Höflichkeit
Vielleicht hast Du schon mal etwas von Taarof gehört? Nein? Also … das ist so eine ganz besondere iranische Höflichkeit, die für Europäer und ganz besonders für Deutsche sehr schwer zu verstehen ist.
Taarof ist eine Geste der Höflichkeit, bei der dem Gegenüber quasi die Welt versprochen wird. Dabei wird aus lauter Gastfreundlichkeit und Höflichkeit vieles versprochen, was dem Andern eine Freude sein könnte. Du bekommst also quasi alles angeboten. Geschenke, Essen, einen Schlafplatz, eine Mitfahrgelegenheit … alles. Manchmal führt das dazu, dass die Offerten die Grenzen des finanziell, praktisch und sozial Machbaren übersteigen. Umgekehrt ist es daher auch ein Gebot der Höflichkeit, Gaben und Ansinnen zunächst einmal abzulehnen. Weiß man das nicht (so wie wir ganz oft), wird es „spannend“, sag ich mal.
Für uns als Europäer ist das sehr schwer zu verstehen. Die Iraner sagen etwas, was sie eigentlich nicht meinen? Und das ist dann höflich? Woher soll man wissen, wann sie dann mal etwas ernst meinen? Sehr schwierig!
Wir gehen immer erstmal davon aus: Wenn jemand etwas sagt, dann meint er auch genau das, was er sagt. Es sei denn, es ist als Satire oder Ironie tatsächlich erkennbar. Nur hat Satire oder Ironie in unserem Sprachgebrauch ja nichts mit Höflichkeit zu tun.
Daher war meine Bitte an unsere Gastfamilie schon im Vorfeld: Bitte kein Taarof. Denn wir hatten schon vor unserer Reise so viele Missverständnisse deswegen, einfach nur, weil Google Translator keine Ahnung von Taarof hat und bei der Übersetzung einiger bestimmter Phrasen sehr eigenartige Sätze herauskommen. Viele in der Familie haben wirklich versucht, sich daran zu halten. Doch so wie wir Deutschen instinktive Verhaltensweisen haben (zum Beispiel ein Geschenk anzunehmen, wenn es angeboten wird), so ist das bei Iranern mit dem Taarof nicht anders.
Einige Beispiele von Google’s Glanzleistungen bezüglich Taarof:
قربانت = ghorbanat = Google sagt: „verdammt noch mal“. Eigentlich wird es übersetzt mit „I will sacrifice myself for you“, und man sagt das am Ende einer Konversation, um Respekt auszudrücken. Manchmal heißt es wohl auch einfach nur „danke“.
خسته نباشی = khaste nabashi = Google sagt: „sei nicht müde“. Man sagt das, wenn jemand gerade eine anstrengende Arbeit macht, und man ihm quasi etwas Energie senden will. Anfangs habe ich das natürlich einfach wörtlich übersetzt und geantwortet „khaste nistam“ = „ich bin nicht müde“. Das ist jetzt noch der Lacher in der ganzen Familie…. Ja ja, lacht nur. 😀
قدمت رو چشم = ghadamet ro cheshm = Google sagt: „you can walk on my eyes“ und meint sowas wie „Ich bin klein in deiner Gegenwart“.
Also … immer dann, wenn die Übersetzungen persischer Sätze irgendwie komisch anmuten, sollte man erstmal davon ausgehen, dass das Taarof ist. Und auch wenn irgendetwas angeboten wird, was jetzt nicht sooo üblich ist: Ist bestimmt Taarof. Wie man da jetzt als Ausländer, der das nicht versteht, am besten drauf reagiert? Ich habe keine Ahnung. Ich habe es meistens ignoriert, denn bis ich mal verstanden hatte, worum es eigentlich gerade ging, war eh schon wieder die gesamte Konversation vorbei.
Wenn Dir in Deutschland etwas zu essen angeboten wird und Du sagst „nein“, kannst Du davon ausgehen, dass Du vermutlich nicht noch einmal gefragt wirst und Du hungrig bleibst. Im Iran geht man davon aus, dass diese Antwort nur höflich war und Du riesengroßer Hunger hast.
Wenn Dir in Deutschland jemand etwas anbietet, wirst Du das wahrscheinlich annehmen. Im Iran wird erwartet, dass Du es ablehnst. Hier gibt’s auch ein schönes Video dazu: https://www1.wdr.de/mediathek/av/video-tarof-104.html
Ich liebe es zuzuschauen und zuzuhören, wenn Iraner dieses Taarof-Ding machen. Es ist wirklich niedlich. Es ist nett, es ist höflich, es zeigt Respekt. Ich mag das. Ja wirklich. Aber ich verstehe es nicht. Und werde es wahrscheinlich nie tun. Das ist natürlich für beide Seiten sehr verwirrend. Hier zeigen sich dann kulturelle Unterschiede sehr, sehr deutlich. Und viele Verhaltensweisen sind ja in unserem täglichen Tun so stark etabliert, dass wir sie unbewusst tun. So habe ich manchmal erst Stunden später gemerkt, dass ich wahrscheinlich hier und da lieber hätte etwas ablehnen sollen.
Taarof ist ein gutes Beispiel dafür, dass sooo vieles zwischen Iran und Deutschland das absolute Gegenteil ist. Deutsche haben schon Schwierigkeiten, noch „bitte“, „danke“ und „Entschuldigung“ zu sagen. Bei Iranern hörst Du das fast in jedem Satz, und sie entschuldigen sich sogar dafür, dass zu wenig Essen da ist oder es nicht gut genug ist (was in keinem Fall nachvollziehbar war) … Vor allem Iranerinnen neigen zu unglaublicher (und aus meiner Sicht unverständlicher) Bescheidenheit.
Bei den einen ist es zu wenig, bei den anderen zu viel. Eine Mischung aus beiden Verhaltensweisen wäre da eine gute Idee, finde ich.
Ich habe es oft gemerkt: Taarof in der Gegenwart eines Europäers bzw uns Deutschen wird zu vielen Mißverständnissen führen. Manchmal mögen sie lustig sein, manchmal aber vielleicht auch nicht. Wir Deutsche nehmen einfach alles viel zu ernst. Daher ist meine Empfehlung: Bitte kein Taarof für Touristen aus europäischen Ländern.
Vielleicht gibt es ja auch irgendwo ein passendes Wörterbuch „Taarof/Deutsch – Deutsch/Taarof“ …
Was ich faszinierend fand, war meine Tochter zusammen mit Maryam, einem 12-jährigen Mädchen aus der großen Gastfamilie in Kalāte Khij, einem kleinen Dorf in der Nähe von Shahrud, Provinz Semnan. Maryam konnte weder deutsch noch englisch, Laura konnte kein persisch. Verstanden haben sie sich trotzdem irgendwie und hatten viel Spaß zusammen.
Geselligkeit im Iran
Natürlich waren viele Freunde und Verwandte unseres Gastgebers neugierig auf die Gäste aus Deutschland. Ich möchte nicht wissen, wie viele Einladungen zu einem Besuch von uns er im Vorfeld erhalten hat. Es müssen sehr viele gewesen sein.
Iraner lieben es, zusammen zu sitzen und zu reden und Spaß zu haben. Wir haben schon lange nicht mehr so viel gelacht in so kurzer Zeit! Während wir Deutschen uns eher abgrenzen, unseren Tag auf Arbeit oder in unseren 4 Wänden verbringen, sind Iraner irgendwie nie allein. Mal kommt jemand zu Besuch, dann geht wieder jemand. Auch die Familie lebt viel enger zusammen, als wir das gewöhnt sind.
Eine aus meiner Sicht sehr bewundernswerte Eigenschaft ist übrigens, dass man im Iran jemanden auch dann als Gast empfängt, wenn man denjenigen nicht wirklich mag, oder vielleicht sogar hasst. Als Iraner ignoriert man hier seine eigenen Befindlichkeiten und ist trotzdem höflich, freundlich und respektvoll. Komme, was da wolle. Bewundernswert!
Gleich zu Beginn waren wir in einem traditionellen Restaurant essen. Traditionell heißt scheinbar: Dort gibt es eine Shisha, auf persisch ghalyun (قلیون ). Seit bemerkt wurde, dass ich wohl auch Shisha rauche, wurde diese bei sehr vielen Essensmöglichkeiten angeboten. Sehr zum Ärger von Laura, die von dem Rauch der Shisha Kopfschmerzen bekommt.
Die meiste Zeit wird übrigens auf dem Boden gesessen, so wie hier im Restaurant. Entweder man sitzt im Schneidersitz, oder legt die Beine so zur Seite. Ich habe gelernt, dass es unhöflich ist, die Beine auszustrecken. Den Fehler macht man nur einmal … Wenn man kaputte Knie hat, ist es schon echt anstrengend und schwer im Iran. Diese Art zu sitzen und zu essen ist zu Beginn sehr ungewohnt, doch das ändert sich schnell.
Reisen im Iran
Reisen im Iran ist sehr kostengünstig. Das Benzin ist billig, eine Mineralölsteuer gibt es da nicht. Auch Fahrten mit dem Zug sind erschwinglich, man könnte sogar bequem mit dem Flugzeug von einer Stadt zur nächsten fliegen, wenn man denn Vertrauen in die alten Maschinen hat.
Unsere erste Reise innerhalb des Irans ging von Teheran nach Shahrud (Provinz Semnan), das sind etwa 400km und 5 Stunden mit dem Auto zu fahren. Wir waren auf einer Autobahn unterwegs. Wenn ich mich recht erinnere, fährt man so etwa 100km/h. Alles in allem ein sehr gemütliches Fahren entlang einer wunderschönen bergigen Landschaft.
Autobahnraststätten sehen dann auch ein wenig anders aus als bei uns in Deutschland. Hier fingen wir dann übrigens an, Instant-Kaffee zu trinken. Iraner trinken ja eher Tee als Kaffee. Für uns also Instant-Kaffee mit heißem Wasser aus einem Samowar. Einen Samowar kenne ich noch aus meiner Kindheit. Ich bin ja in der DDR aufgewachsen, da gab es sowas auch.
Aufgrund des heißen Klimas im Iran und dem großen Anteil an Wüste ist die Landschaft zumindest in diesem Teil des Irans nicht so grün, wie man das aus Deutschland kennt, sondern eher braun, staubig und trocken. Auf den vielen, interessant geformten Bergen in den unterschiedlichsten Farben wachsen keine Bäume.
Plötzlich wird die Wüste weiß und zu einer Salzwüste. Mittendrin befindet sich immer mal wieder eine Karawanserei, oder das, was davon noch übrig ist.
Immer mal wieder sieht man andere interessante Gebäude, bei denen ich nicht sagen kann, wofür die gut sein könnten. Dieses kreisrunde Türmchen mit den Treppen könnte ein Brunnen sein. Im Iran gibt es dafür viele interessante Konstruktionen, um das Wasser gut gekühlt tief aus der Erde zu holen.
Auch mit dem Zug lässt es sich sehr gut reisen im Iran. Wir sind den Weg von Shahrud zurück nach Teheran gefahren, ich glaube, 4 Stunden waren wir da etwa unterwegs. Wie überall im Iran läuft auch im Zug überall der Fernseher. Laut.
Und: wie immer und überall im Iran, gibt es auch im Zug etwas zu essen. Das scheint im Preis mit inbegriffen zu sein, wie beim Flugzeug. Serviert bekamen wir Hähnchenfleisch mit Reis und Dough, einem iranischen Joghurtgetränk.
Beeindruckende Landschaften
Wir haben in dieser einen Woche nur einen winzig kleinen Teil vom Iran gesehen, so viele schöne Gegenden in anderen Provinzen müssen noch von uns entdeckt werden. Und doch haben wir uns bereits jetzt in die wunderschöne Landschaft des Irans verliebt. So oft habe ich mich gefühlt wie ein kleines Kind, das neugierig eine völlig neue Welt entdeckt und dabei absolut überwältigt und sprachlos ist von den vielen neuen Eindrücken. Auch jetzt beim Schreiben geht es mir noch so.
Die Berge sind faszinierende Strukturen in den unterschiedlichsten Farben, so ganz anders als in Deutschland, wo auf jedem Berg oder Hügel noch Bäume wachsen.
Und selbst mitten in Teheran löste der Anblick des Tochāl, einem 3964m hohen Gipfel des Elburs-Gebirges, bei uns Gänsehaut aus. Wir standen hier auf einer unscheinbaren Brücke über die Eisenbahngleise, und vermutlich hätte man diese Berge im Hintergrund im tagtäglichen Leben gar nicht mehr beachtet. Für mich war dieser Anblick etwas Besonderes und Beeindruckendes.
Ich könnte all das stundenlang ansehen. Und ich bin sicher, ich werde noch viel mehr vom Iran sehen. Irgendwann. Bald.
Weiter im dritten Teil
Auch dieser Artikel ist schon wieder sehr lang geworden. Daher soll hier erstmal Schluss sein für heute. Im dritten Teil geht es dann um meine Gedanken zum Islam und den Berührungen, die ich damit im Iran hatte. Auch berichte ich ein klein wenig vom Leben in unserer lieben Gastfamilie. Ich stelle auch das Hostel vor, in dem wir in Teheran übernachtet haben.
Hast Du Fragen, blieb bisher etwas unbeantwortet? Ich freue mich sehr, wenn ich all Deine Fragen hier beantworten kann! Schreib mir dafür einfach einen Kommentar.
Weitere interessante Artikel im Blog
- Wenn der Körper nicht mehr kann – Die stille Sprache deines Nervensystems - 2. Oktober 2024
- Emotionales Essen: Wenn der Kühlschrank zum Zufluchtsort wird - 12. September 2024
- Ich habe versagt! … Oder nicht? - 25. August 2024